22 Oktober 2006

 

Schenken und beschenkt werden

Es gibt hier in Japan eine wirklich sehr ausgeprägte Schenkungskultur. Man schenkt zu allen möglichen Anlässen, oft in einem je nach Anlaß ungefähr feststehenden Wert. Die bei uns so wichtigen Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke sind hier noch nicht sehr verbreitet, dafür schenkt man z.B. eher zu Neujahr, und dann uns manchmal merkwürdig cheinende Dinge, wie eine schön verpackte Jahresration Waschpulver, einen Geschenkkarton mit 50 kleinen Fruchtsaftdosen oder eine Packung mit fünf 200g-Portionen löslichen Kaffees verschiedener Geschmacksrichtungen. Alles ist möglich, nur schön verpackt muß es sein.
Ein Geschenk verlangt ein Gegengeschenk, eine Einladung verlangt ein Gastgeschenk, eine Reise ein Mitbringsel.

Vor allem letztere, Omiyage genannt, die man der Familie, Freunden und Arbeitskollegen mitbringen sollte, sind die Grundlage für eine riesige Industrie in Japan. Kein Ausflugspunkt, sei er noch so klein, an dem sich nicht palettenweise schön eingepackte lokaltypische Omiyage stapeln. Kein Japaner, der davon nicht mindestens ein halbes Dutzend kauft, denn es gehört sich halt, etwas mitzubringen. Meist bestehen die Omiyage aus lokalen Süßigkeiten und sonstigen Spezialitäten (salziges Gebäck, eingelegte Gemüse, allerhand getrockneter Fisch, lokale Nudelpezialitäten und allerlei mehr). Die Süßigkeiten sehen dabei stets wunderbar aus, wie Früchte oder Blumen, schmecken aber fast alle gleich, nach den fast immer gleichen Zutaten Zucker, Reismehl und süße Bohnenpaste.

An großen Flughäfen oder Bahnhöfen gipfelt dieser Mitbringselzwang dann in ganzen Hallen voller fertig verpackter Geschenke, wo man dann in letzter Minute noch sein Geschenksortiment vervollständigen kann, damit nur ja keiner der Lieben zu Hause zu kurz kommt.
Bequemerweise kann man die Omiyage sogar überall per Paketzustellservice direkt versenden lassen, ohne sie selbst schleppen zu müssen. Und sehr praktisch sind auch Kataloge, in denen Mitbringsel aus der ganzen Welt zu ordern sind: Schokolade aus Belgien und der Schweiz, Würstchen und Messer aus Deuschland, italienische Pasta, französischer Wein, ja sogar afrikanische Holztierfiguren; so soll man seine Auslandsreise unbeschwert genießen - wobei die Preise natürlich um ein Mehrfaches höher sind als wenn man die Sachen direkt in Europa im Laden kauft. Aber erstens kennen die Japaner die europäischen Originalpreise ja nicht, und zweitens ist man hier grundätzlich bereiter als anderswo, sich Dienstleitung etwas kosten zu lassen.

Sehr nett und manchmal sehr kurios finde ich die Schenkungsgewohnheiten, die in unserer unmittelbaren Nachbarschaft herrschen (man erinnere sich: das sind vor allem vier andere Familien mit Kindern, die in den uns unmittelbar benachbarten Häusern wohnen und mit denen wir recht viel zu tun haben).
Es fängt damit an, daß man als Neueinzieher die Runde macht, sich vorstellt und ein Geschenk überreicht, meist was kleines für den Haushalt, hübsche Handtücher oder so etwas. Das ist ja noch nicht Besonderes.
Inzwischen muß ich aber manchmal regelrecht Buch führen, um keine Gegengeschenke zu vergessen. Das sieht dann so aus:
Die Großmutter der einen Nachbarin hat einen großen Garten und schickt per Post immer mal wieder große Mengen frischen Gemüses, das dann zum Teil an uns Nachbarn weiterverschenkt wird. Im Winter sind das manchmal auch zuckersüße getrocknete Kakis. Manchmal gibt's auch ein Kilo Kartoffeln, weil wir als Deutsche ja Kartoffelesser sind. Ich schenke dann frisch gebackene Kekse zurück.
Der Mann einer anderen Nachbarin arbeitet in der Lebensmittelindustrie, und weil sie weiß, daß ich viel backe, schenkt sie mir regelmäßig Butter, gemahlene Mandeln (hier sehr teuer) und kiloweise Blockschokolade. Klar, da ich den Blitzschokoladekuchen zurückschenke. Neulich hatte sie dann selbst ein neues Muffinsrezept ausprobiert, und am Sonntagmorgen um halb neun ihre kleine Tochter mit einem ganzen Tablett voll davon herübergeschickt - noch warm!
Die Nachbarin direkt gegenüber kocht gerne, und bringt mir immer einen Extratopf herüber, wenn sie etwas gemacht hat, von dem sie denkt, daß ich es mag. Neulich hat sie sich sogar extra ein Rezept für Tofuhamburger für mich ausgedacht und es mir vorgeführt, weil sie weiß, daß ich kein Fleisch mag. Ich schenke wiederum Kuchen und Muffins in allen Variationen zurück, oder auch Obst.
Und die Nachbarin neben uns brachte neulich drei wunderschöne Kalligraphien, denn sie hatte gehört, daß ich mich mit Pinsel und Tusche an den Kanji versuche, und ihre Schwester ist Kalligraphielehrerin. Ihr habe ich dann Pralinen aus Europa mitgebracht. Und so weiter und so fort.
Thomas verdreht dabei regelmäßig die Augen zum Himmel - er hat's ja nicht so mit diesem ganzen Sozialgefüge und den daraus resultierenden Verpflichtungen. Ich finde das Ganze aber sehr nett - und sage niemand, die Japaner seien nicht freundlich zu Ausländern!

Comments: Kommentar veröffentlichen



<< Home

This page is powered by Blogger. Isn't yours?